Stereopaul`s Hörtips:

Die Musik in einer Kneipe ist natürlich überaus entscheidend. Die vierte Dimension des Raumes ist für ein Lokal stilbildend was das Image angeht, aber auch im konkreten Moment absolut stimulierend, oder eben antörnend. Die falsche CD in einem gut besetzen Lokal mit ausgelassener Stimmung etwa kann binnen weniger Minuten die ganze Situation verändern; ein gezielter Griff ins Klo zerstört schlagartig die angenehme Partystimmung und die werten Gäste sehnen sich plötzlich nach ihrem Kopfkissen statt nach einem weiteren Drink. Aus diesem Grunde geht der Trend der "normalen" Szene-Gastronomie ganz klar zu unauffälligen, sauberen Background-Sounds. Hauptsache nix falsch machen, nicht "aus dem Takt" geraten, nicht auffällig sein, oder gar die Aufmerksamkeit der Gäste erheischen. Schön weichspülen. Mit dem Charme eines Kunstdrucks von Ikea. Millionenfach da gewesen, aber natürlich auch erprobt. Haben die anderen ja auch... Das sanfte Gedudel umhüllt den Raum mit einer gepflegten Reinlichkeit, wie auch die Einkaufstasche von Douglas benutzte Sachen unsichtbar verhüllt und irgendwie Hip erscheinen lässt. Diese "muzak", ein Begriff der in den 80er Jahren als begonnen wurde Musik gezielt für die Erhöhung des Konsumverhaltens einzusetzen, ja zu produzieren, hat den Schritt von den Kaufhäusern nun endlich in die trendigen Kneipen gemacht Nun ja, auch das Rio`s ist in gewisser Weise diesem Trend verfallen, für uns hier in Celle wohl sogar in einer gewissen Vorreiterrolle zu sehen. Als wir 1996 mit dem Rio`s begannen, waren grad die entspannenden Trip Hop/Lounge-Sounds von Kruder & Dorfmeister, kuscheliger Franzosen-House und wärmender ElectroDub sehr angesagt. Das passte auch uns gut ins Konzept. Verschrecken kannst du damit eigentlich keinen, und verweilen kann man dabei gut. Im "Strich" (damals "Le Bistro") lief Gitarrenmusik. Im "Ohne Gleichen" morgens House und abends Techno, im "Celler Loch" wilde Underground-Sounds, und im Bistro in der Schuhstr. wie in den anderen unhippen Läden das Radio. Also, alles klar: Willkommen in der warmen Electro-Lounge des Rio`s. Für mich als angeblicher "Musik-Diktator" stellte sich schon sehr früh die Frage, inwieweit wir dieses Spiel mit den Sounds der Waschmittelwerbung mitspielen sollten. Mein persönliches Interesse gilt seit vielen Jahren wirklich spannender Musik unterschiedlicher Herkunft und nicht konsumorientiertem Gedudel. Also ist unser Weg eine (hoffentlich) meist ausgewogene Mischung aus zeitgemäßen, angenehmen Tönen, die beispielsweise die Frühstückszeiten prägen und sehr entgegen- gesetzten Sounds, die hier am Abend erklingen. So einige Songs, die erfolgreich TV-Werbung untermalten waren für die Rio`s-Crew und aufmerksame Gäste bereits ein alter, abgenudelter Hut, bevor sie bei Karstadt in den Top- Ten standen. Und die Partys im Rio`s haben ihren guten Ruf nicht nur durch die sympathischen, entspannten Gäste, sondern auch durch das riesige Archiv unserer 60er & 70erJahre Soul & Disco-Scheiben.und auch das vor dem großen Revivalboom… Soviel zur Theorie. Und die Hörtipps? Dazu hier eine kleine, aber feine Auswahl dessen was mir Spaß macht und auch die vierte Dimension im Rio`s ausmacht. Veröffentlichen darf ich hier nix. Wie ihr wisst, hat es die Musikindustrie gut geschafft, moderne Nutzer digitaler Medien zu verunsichern und sie per se in die halb kriminelle Ecke zu stellen. Kopieren der völlig überteuert gehandelten Medien gilt mittlerweile als Straftatbestand und wir alle haben schon von Fällen gehört, die im Strafmass manche Urteile wegen Körperverletzung in den Schatten stellen. Ich möchte an dieser Stelle die Gelegenheit nutzen uns alle aufzufordern gegen dieses repressive Verhalten auf vielen denkbaren Ebenen vorzugehen (ihr wisst schon…). Die Digitalisierung der Medien ist eine Erfindung der Industrie, nicht der Konsumenten. Ihre einfache Reproduzierbarkeit ist ein dazugehöriges Erscheinungsbild und nicht die Erfindung von Kriminellen! Früher haben wir Schallplatten auf Kassetten überspielt und Kassetten kopiert. Und die Rolling Stones hatten dennoch genügend Einkünfte für ihre Blutwäsche und künstliche Nasenschleimhäute. Heute, wo angeblich die Musikindustrie so sehr unter Schwarzkopien leidet, hat ein Eminem mehr Autos, Häuser, Frauen als er zählen kann. Da lassen sich Afro-Amerikaner scheibchenweise in "Weiße" ummodelieren, obwohl sie offiziell pleite sind. Aber du machst dich strafbar wenn du seine CD, für die du gut abgelatzt hast, kopierst. Also gibt’s hier leider keine Sounds, aber ein paar links auf Webseiten mit Soundfiles und der Möglichkeit zum entspannten Einkauf vom Sofa aus.
Also endlich zur Sache:

www.fingerlickin.co.uk Das Londoner Fingerlickin Label ist seit einigen Jahren unsere Hauptressource für fette, funky Beatz. Als Ende der 90er der BigBeat, eine Mixtur aus 60ties-Flair, gepaart mit Breakbeats, funkigen HipHop-Bässen und housigen Loops die Welt von den coolen Londoner Clubs aus eroberte, brach auch bei uns das BigBeat-Fieber aus. Und wir brauchten viel, viel mehr von diesem feinen Stoff, als nur Fatboy Slim und die Freestylers. Zum Glück wurde bald Fingerlickin geboren. Bandbreite zwischen HipHopBreakz (Krafty Kuts) und intelligentem Techno (Plump DJ´s). Der Sound ist immer fett, werden doch bevorzugt 12“ Maxis produziert. Auf der Webseite sind auch soundfiles zu finden. Die Platten gibt es nicht oft, obwohl sie dort angeboten werden…dann heisst`s gut aufpassen bevor die anderen schneller sind. Es gibt auch eine offizielle "analoge" Verkaufsbasis für den Stoff. In Camden, dem beliebten Londoner Szenestadtteil, gibt es vor dem nicht enden wollenden Flohmarkt in einer Nebenstrasse (links, wenn du aus der Tube kommst) die "Bar vinyl". Ganz cooler Laden. Essen, trinken, auch tagsüber DJ´s, und das Beste, im Keller den Plattenladen "vinyladdiction". Einer von den Jungs dort macht auch das Fingerlickin-Label.

Für die sittsamen Stunden, die aber nicht langweilig sein sollen, greifen wir gern auf das "Schema"-Label aus Mailand zurück. Unter www.ishtar.com findest du mehrere Labels. Im Vertrieb darunter eben auch Schema. Die Mitwirkenden sind zwar zum Grossteil Italiener, aber auch auffällig viele Skandinavier und Südamerikaner veröffentlichen ihre Musik hier. Der Tonfall ist jazzig, housig, loungig. Ein Hang zu modernen Sambaklängen oft unüber- hörbar. Zwischen lauschigen, orgellastigen Cocktailsounds (Balanco / Les Hommes), Latino Rhythmen (Rosalia deSouza) und housigen Disco(re)mixen, gibt es eine Angenehme, zeitgemäße Vielfalt, die sich zwischen den Eingangs erwähnten "Kuschel- sounds" und richtig "ernsthafter" Zuhörmusik befindet.

Überlebensrettend kann es auch in manchen Situationen sein, eine Scheibe von "Herbert" einzuwerfen. Der Engländer Matthew Herbert gilt seit mehr als 10 Jahren als genialer Musiker in der House/Techno-Szene und viele seiner Platten sind geradezu fantastische Beweise, wie witzig, ja tatsächlich intelligent, elektronische Musik sein kann. Sein Hauptwerkzeug ist der Sampler, na klar. aber seine Soundquellen sind die Umwelt. Küchengeräte, Kneipengeräusche, dein Epson-Drucker, dass sind Herberts Instrumente. Spaßig genug. Aber auf seiner großartigen webside www.magicandaccident.com erklärt uns Herbert, warum er den Epson-Drucker genommen hat. Weil der nämlich unter verdammt merkwürdigen Bedingungen hergestellt wird. Und da wird`s interessant. Herbert kümmert sich um viele Dinge, die gerade in der House/Techno-scene nicht wirklich thematisiert werden, weil`s ja nun auch meist instrumental zugeht, aber zumeist vor allem losgelöst von den "uninteressanten Problemchen" des Alltags und da hat Herbert ein wirklich großes Mitteilungsbedürfnis. Und nicht zuletzt Herbert`s Lebensgefährtin. "Dani Siciliano" bereichert oft mit ihrer hinreissenden Stimme, und hat nicht nur im Rio`s schon so manche Seele zum dahin- schmelzen gebracht.

Zum runden Rio`s-sound gehört auch ein guter Schuss Reggae & Rocksteady. Das ist natürlich ein weites Gebiet und da ich eher auf alte Klassiker stehe, kenn ich keine geile Anhörseite im großen Netz. Wenn du aber auch auf so was stehst, empfehle ich dringend die Radio-Show "freedomsounds" meines Freundes und gelegentlichen DJ- Partners Peter Piper, die alle 2 Wochen um 22 Uhr Sonntagabend auf dem tollen Hannoveraner Radiosender Radio Flora (UKW 106,5 MHz, oder www.radioflora.de ) gesendet wird. Auch Peter steht eher auf die klassischen jamaica-sounds und seine Sendungen haben meist Features bestimmter Reggea-Ikonen oder interessante Neuerscheinungen Zum Inhalt. Eine Seite gibt`s auch dazu. www.freedomsounds.de da sind auch Sendungen archiviert. Auch ganze Nachtshows von Radio Flora die wir gemeinsam mit 60ties-zeug bespielt haben. Und nebenbei ist Flora sowieso mit vielen geilen Musiksendungen ein sehr empfehlenswerter Sender.Na ja, Wirklichkeit der einzig brauchbare hier in der Gegend im Äther, wenn du dich vor Ohrenkrebs schützen willst. Auf der Webseite gibt`s den livestream.

Jetzt aber mal zu meiner eigentlichen Sucht: "Black magic plastic"(Lee Perry). Die kleinen schwarzen Scheiben die du suchen musst wie die Stecknadel im Heuhaufen. Mit den wilden schwarzen Sounds drauf. FUNK ist das Zauberwort. Okay, ein bisschen Soul darf`s auch mal sein und Rhythm & Blues war der Vater vom Ganzen. Der "wirkliche" Funk kommt aus den USA, am liebsten aus dem Süden, und wurde von 1965 bis Mitte der 70er gespielt, getanzt, gelebt. Natürlich hat auch die aus ihm erwachsene Disco-Musik ihren Funk, aber das ist schon ein anderes Genre für den orthodoxen Funk-Collector. Es sind fast grundsätzlich nur diese vielen hübschen Singles, die diesen fantastischen Sound in die Gegenwart rübergerettet haben. Es sind tausende unbekannter Typen und Bands, die zumeist nur 2–6 Songs in ihrem musikalischen Dasein hinterlassen haben, auf ebenso vielen verschiedenen kleinen Labels erschienen mit einem Verbreitungsgrad der Selten einen ganzen Bundesstaat einschloss. Dementsprechend das alles in wirklich kleinen Auflagen. Ganze Alben haben die wenigsten produzieren dürfen. Nur die ganz Großen dieser Zeit, wie etwa unser aller Godfather, Mr. Dynamite, James Brown. All die anderen lebten wenn sie echt gut und hip waren mal ne zeitlang von Engagements in Clubs & Bars, waren aber ansonsten Automechaniker, Zimmermann oder Hausmeister. Und haben eben auch mal ne Single aufgenommen und weiter gejobbt. Manch einer von Ihnen, hätte er damals nicht die 500 Scheiben verkauft sondern gewartet bis es ebay gibt und eine weltweite Funkeuphorie, würde heutzutage zu Reichtum kommen, wo seine Werke für ein paar hundert Dollar für 2,5 Minuten Groove gehandelt werden. Glücklicherweise gibt`s aber mittlerweile auch reichlich re-issues. Auch auf Single.und meist auch nicht nachträglich "abgemischt". Also schön dicht am Original, nur 100$ billiger. Aber für den echten nerd taugt das nichts. Original oder stirb – ist die Devise. Natürlich geht das alles in dem Maße nur durch das Internet. Auch Plattenbörsen sind nicht immer ein guter Fundus. Am besten also bei ebay nen Südstaaten-Ami auftun der beim ausräumen von Papa`s Dachboden 20 seltene Scheiben gefunden hat, sich seiner Schätze nicht sicher ist, und dann heisst`s beten, dass die anderen das nicht auch sehen...

Soviel geredet und du weißt immer noch nicht was dieser Funk ist? Rhythmus . Ekstase . Sex. Tanz . Der Begriff Funk kommt wohl aus dem undergroundslang und bezeichnet ursprünglich den Körpergeruch der beim Sex entsteht. Oder eben beim tanzen. Funk ist Tanzmusik durch & durch. Auch wenn für heutige Verhältnisse die Schlagfrequenz eher lahm erscheint, Vor 35 Jahren sind die Leute darauf durchgedreht. Na ja die schwarzen Leute. Den Rhythm & Blues hatten die Weißen ja schon einkassiert und daraus Rock`n`Roll gemacht. Der Soul war einigermaßen gefällig und entsprechend gesellschaftsfähig geworden. Aber der Funk – der war schwarz wie die Nacht. Für viele schwarze Amerikaner identitätsstiftend. Songs wie "I am somebody" oder "say it Loud – I`m black and I´m proud" trafen den Nerv der langsam selbstbewusst werdenden Black community. Die Wut über die Repression durch die Rassentrennung bündelte sich zunehmend in den 60er Jahren in Demonstrationen, Steiks, Black Power Movement und sie hatten ihren eigenen Soundtrack. Für Weiße eher ungenießbar: den Funk. Später entstand aus dem Funk der Disco-Sound. Der war dann schon mehr was für Alle und eroberte ja schließlich auch die ganze Welt. Aber auch der Rap entwuchs dem Funk. Ursprünglich auch eine rein schwarze Angelegenheit, breitete auch er sich über die Ghettos hinaus aus und mittlerweile ist, wie du weißt, die Seuche HipHop komplett von der Industrie aufgesogen, hat den Erdball fest im Griff, und Wohlstandkids aus aller Welt träumen davon morgen in so nem richtig fett dreckigem Ghetto aufzuwachen... Nicht das ich hier sagen will der Funk hätte letztlich die Menschheit geeint. Das nun leider nicht. Noch nicht... Und zu den links: Die Sounds dieser "Funk-Dekade" sind zum großen Teil glücklicherweise auf einer unkommerziellen Webseite abgelegt. www.funk45.com heißt dieser Teil des Himmels. Dort tummeln sich die vielen Funk-Junkies, um abzuchecken ob das aktuelle ebay-Angebot für sie wirklich überlebenswichtig ist, oder was sonst der Weihnachtsmann nächstes Mal vorbeibringen könnte. Der berühmteste Soul/Funkhändler ist wohl ein Engländer namens Manship. Unter www.raresoulman.co.uk gibt es soundfiles und verdammt viel zu kaufen. Manship gibt auch Plattenkataloge raus, hat also voll den check – aber leider die falsche Währung. Der britische Pfund ist lausig für uns hier vom Kontinent und da er ja voll die Ahnung hat, weis er natürlich auch das alles "rar" ist und ist nicht grad günstig. Aber eben viel abzucheken bei ihm. Zum kaufen bietet sich z.Zt. eher der US-Dollar an. Zum Beispiel bei Graig Moerer www.recordsbymail.com Angeblich einer der Urväter des Internet-Handels hat er eine Millionen(!) Platten zu verkaufen. Alle möglichen Genres. Und für einen professionellen Händler mit moderaten Preisen (wenn man noch den abkackenden Dollar hinzurechnet).

Und einen letzten Hinweis. Wenn du Soul & Co einfach hören willst, unter www.wfmu.org gibt es downloadfähige Radiosendungen namens "Downtown Soulville". Der Typ der das macht, Mr Finewine, ist der totale Oberexperte. Absolut. Ein plattenspielendes Lexikon der schwarzen Musik. Wenn irgendwer was über eine verschollenen Platte weiss, dann er. Und wenn irgendwer diese Platte auch noch hat dann Mr Finewine. Und damit sich dieser ganze Vortrag auch wieder zu seinem Anfang (nicht Ende) begibt, folgende Brücke: Merten, ein Barkeeper der ersten Stunde im Rio`s, hat vor 11 Jahren als erster 60tiesSoul und so`n Zeug in`s Rio`s eingeführt. Mich hatte es oft etwas genervt, aber stimmungsmäßig musste ich die Wirkung anerkennen. Als Merten dann nach Hamburg ging um da u.a. Platten aufzulegen, musste sich ja irgendjemand um Soul&Funk-Nachschub für Celle kümmern. Das musste ich wohl tun. Und so ging das seinen Gang... und Merten hat letzten Sommer in HH zusammen mit Mr Finewine Platten aufgelegt. Und ich bin verdammt neidisch...

Oli